Längst nicht alle RPG-Perlen aus Japan schaffen es zu uns rüber, aber wenn, dann haben sie
oft das Potenzial zum Klassiker. Im aktuellen Fall gab es sogar noch eine ordentliche
Überarbeitung und Aufwertung, ehe Bravely Default auch im Westen an den Start gehen durfte.
Aber reicht das um wirklich zu punkten, oder werden nur schablonenartig die Standardzutaten
für JRPG-Erfolge erneut aufgekocht?
Alles beginnt mit einer großen Katastrophe. Wir erleben im Prolog wie das Dorf der
Hauptfigur Tiz im wahrsten Sinne des Wortes vom Erdboden verschluckt wird. Dementsprechend
verzweifelt begegnen uns auch in den ersten Spielstunden Tiz und Agnès. Letztere ist die einzige
Überlebende Vestalin des Windes, eine Art Priesterin, die den Windkristall wieder zum Leuchten bringen
will, die ältesten Final Fantasy-Titel lassen herzlichst grüßen. Kurze Zeit später hat man noch den
Möchtegernfrauenheld Ringabel incl. obligatorischem Gedächtnisverlust, sowie die streitlustige Edea
mit dabei. Vier Helden also um vier Kristallen wieder ihr Licht zurückzugeben. Letzteres wird zwar erst
später offenbart, ist aber genauso vorhersehbar wie die charakterliche Entwicklung der Figuren. Auch die
Dialoge entsprechen oft der Gattung Kindgerecht und lassen ältere Spieler nur vereinzelt Schmunzeln.
Dennoch haftet dem ganzen ein Charme an, der über naiv und retrohaft hinausgeht.
Erlaubt uns, das wir uns vorstellen ihr Buddhistenschweine. Wir sind die Metzger! |
Was das Gameplay angeht, stellt das Spiel eine sanfte Evolution dar und wagt keine großen Stilbrüche.
Klares Vorbild sind die alten Final Fantasy-Teile (besonders III) mit ihren Job-Systemen, deren Mechaniken
etwas modernisiert wurden. Kern-Element der rundenbasierten Kämpfe (deren zufällige Häufigkeit man an die
eigenen Bedürfnisse anpassen kann) sind die Default- und Brave-Manöver. Mit ersteren geht der Charakter
für eine Runde in eine Verteidigungshaltung und erhält für die nächste eine zusätzliche Aktion. Auf diese
Weise lassen sich bis zu drei Aktionen aufsparen, so dass man in einer Runde dann bis zu vier Mal handeln
kann, dies läuft über den Brave-Befehl. Man kann mit seinen Aktionen auch ins Minus gehen und bis zu vier
Aktionen ausführen, selbst wenn man nicht genug freie Aktionen hat, wichtig ist nur, dass man nicht schon zu
Rundenbegin im Minus ist. In dem Fall heißt es nämlich warten bis man wieder auf 0 ist, so lange steht man
den gegnerischen Angriffen ungeschützt gegenüber. Während man also normale Gegner bald schon in der ersten
Runde mit einer ganzen Reihe an Angriffen erledigt, kommt man bei den Boss-Gegnern ein ums andere mal ans Grübeln.
Welchen Charakter lasse ich warten, welchen kann ich ins Minus gehen lassen, ohne dass er ungeschützt
zur leichten Beute wird, wann und wie setze ich meine Defensiv- oder Heilzauber am besten ein. Ja, auch hier
ist wieder ein Einfach-zu-lernen-schwer-zu-meistern-System präsent. Auch die zeitliche Reihenfolge der einzelnen
Charaktere ist zufällig, lässt sich später aber immerhin durch Fähigkeiten und Items ein wenig anpassen.
Im Übrigen ist es nicht zu empfehlen die Zufallskämpfe zu stark zu reduzieren. Zwar ist
kein langatmiges Grinding nötig wie noch Anfang der 90er, dennoch bestrafen selbst Standard-Gegner
zu voreilige Spieler schnell. Gerade am Anfang wird man oft die Dungeons noch vor dem Bosskampf
verlassen um noch einmal die Tränke und Ausrüstung der Gruppe aufzufrischen. Frust kommt dabei aber
kaum auf. Als Belohnung für das fleißige Leveln, das auch nicht ausartet, wird der Spieler mit
diversen Dialogen und Ingame-Szenen belohnt, die die Story vorantreiben und allesamt komplett
vertont sind. Dazu kommen optionale (unvertonte) Dialoge, die aber oft sehr nah an Belanglosigkeiten
streifen und vergeblich versuchen die Figuren abseits ihrer Klischees weiter auszubauen. Interessanter
ist da schon das geheimnisvolle Tagebuch, welches Ringabel besitzt und in dem der Spieler blättern
kann um schon eine Ahnung der kommenden Ereignisse zu bekommen. Dabei ist das Buch so geschrieben,
dass keine wirklichen Spoiler vorhanden sind. Simpel aber sehr gelungen umgesetzt und zusammen mit
diversen optionalen Nebenquests, die viel über die Welt und ihre Bewohner verraten. So viele und gute
Möglichkeiten in eine Welt einzutauchen bekommt man selten. Da dürfte sich das nächste große Final Fantasy
gern eine Scheibe von abschneiden, nachdem die letzten Versuche doch sehr platt daherkamen.
Kommen wir zum auffälligsten, dem Grafikstil. Die letzten zwei Jahre waren für den 3DS gelinde
gesagt gute Jahre und wir haben viele Titel mit hochwertiger Grafik gesehen. Bravely Default spielt
qualitativ nur im Mittelfeld, begeistert aber dafür mit einem frischen und detailverliebten 2D-3D-Mix.
Kämpfe und die Dialoge der Figuren werden wie gehabt in 3D präsentiert. Die verschiedenen Orte, die wir
mit unserer bunten Truppe im Laufe der gut 30-stündigen Story besuchen, wurden allesamt als zoombare
handgezeichnete 2D-Hintergründe gestaltet, über die unsere Figuren wie Ameisen wandern. Wenn man einmal
kurz pausiert, zoomt die Kamera heraus und präsentiert uns den Ort in seiner ganzen Pracht. Technisch
gab es auch hier schon opulenteres zu sehen, doch die Mischung und vor allem die Abstimmung der 3D- und
2D-Stile verläuft fast ohne Bruch und geht endlich einmal Hand in Hand. Etwas an dem die meisten 3D-JRPGs
auf dem DS und dem 3DS noch scheiterten.
Schau mir in die Augen, König. |
Damit wären wir aber noch längst nicht am Ende. Bravely Default bietet ungewöhnlich viele
Möglichkeiten um sich auszutoben. Neben den erwähnten Nebenquests lässt sich das zerstörte Dorf
aufbauen, Kämpfer und Feinde via StreetPass rekrutieren, Angriffe für Freunde bereitstellen und
vieles mehr. Einige Monster/Quests sind nur zu bestimmten Zeiten anzutreffen, was dem Tag- und
Nachtwechsel im Spiel eine größere Bedeutung verleiht. Auch könnt ihr nicht nur die Klassen eurer
Charaktere leveln und wechseln, ihr könnt auch über Sekundärfähigkeiten auf die Talente anderer
Klassen zugreifen, was die überschaubare Zahl von 24 Jobs zu einem Baukasten aufbläht, der kaum
Wünsche offen lässt. Oh und Beschwörungen gibt es natürlich auch.
Etwas zwiespältig sind ein paar Features die nur halbgar oder mit fragwürdigem Nutzwert
implementiert wurden. Besonders ärgerlich ist dies beim Augmented Reality, das zwar im Intro
sehr schön genutzt wird, danach aber keine Rolle mehr spielt. Hier wäre mehr drin gewesen,
definitiv. Man mag sich kaum vorstellen, wenn Ringabels Tagebuch mit den Features von Spirit Camera
versehen wäre....
Auch das Sammeln von Aktionspunkten über den Stand-By-Modus des 3DS ist so eine Sache.
Für 8 Stunden Stand-By bekommt ihr eine SP-Einheit, die ihr nutzen könnt um jederzeit, also
auch mitten in der gegnerischen Attacke eigene Aktionen auszuführen. Alternativ kann man diese Einheiten
gegen Echtgeld kaufen. Warum ein Echtgeld-System bei einem Vollpreis-Titel genutzt wird? Hoffen wir dieses
Beispiel macht nicht Schule. Wer aber halbwegs taktisch vorgeht, wird ohne dieses Extragebühr auskommen.
Secret Weapons of WWI: Preussengolem |
Immerhin bietet Bravely Default aber über den Dorfausbau eines der schönsten StreetPass-Features
der letzten Zeit. Das Sammeln neuer Freunde und Freischalten neuer Bonus-Aktionen kann einen durchaus
vom Retten der Welt abhalten. Einen echten Multiplayer-Modus gibt es zwar nicht, aber der hätte wahrscheinlich
längst nicht so viel Spaß gemacht wie das Aufbauen des Dorfes.
Im Original wurde der Titel noch vom Zusatz 'Flying Fairy' begleitet, während die Neuveröffentlichung
in Japan nun zusätzlich 'For the Sequel' im Titel trägt. Für uns kann das egal sein, denn die Neuveröffentlichung
ist definitiv eine große Aufwertung und kann als definitive Version des Spiels betrachtet werden, auch wenn es
weiterhin hier und da noch Kanten gibt.
Links:
Metakritik
|